Wie die Fakten verschwanden im Tal der tausend Nebel

Letzte Woche schenkte mir eine liebe neue Freundin den Roman „Tal der Tausend Nebel“ von Noemi Jordan (wohl ein Pseudonym einer deutschen Autorin). Da sie mir das Buch als exotische Liebesgeschichte empfahl, begann ich das Lesen mit keinen allzu hohen Ansprüchen an Sprache, Struktur und Botschaft, meine Erwartungen dahingehend wurden auch nicht enttäuscht.

Da ich auf dem Einband jedoch gelesen hatte, dass die Autorin aufgrund ihrer Biografie („hat vor 2 Jahrzehnten in einen hawaiianischen Clan eingeheiratet“) und zahlreicher Reisen angeblich eine tiefe Verbindung zu Hawaii verspürt, hatte ich mich darauf gefreut, dass der kulturell-historische Hintergrund des Buches gut recherchiert ist.

Leider musste ich schon nach wenigen Seiten feststellen, dass hier nicht nur schlecht, sondern offenbar gar nicht recherchiert wurde.

Stattdessen wimmelt es hier von schwammigen Allgemeinbegriffen, grundlegenden Mißverständnissen über soziale Strukturen und die Religion im alten Hawai`i, geschichtlichen Fehlern, unpassenden Entlehnungen aus anderen Kulturen und Unwissen über kulturelle Besonderheiten.

Einige Beispiele:

– „die Heilpflanze“ ( z.B. S.52) – warum wird diese nicht mit ihrem korrekten Namen in hawaiianischer Sprache benannt, die insbesondere was die natürliche Umwelt angeht, sehr differenziert ist ?

-„Hibiskusgirlanden“ (S. 110), Hibiskus eignet sich nicht zur Anfertigung von Lei und wird auch nicht dafür verwendet.

– „rote Blüten des Jasmin“ (S.148) – Jasmin blüht weiß. Übrigens auch in Deutschland.

– „Sorgenpüppchen“ ( S. 96) kommen, soweit ich weiss, aus Guatemala und sind in der traditionellen Kultur Hawaiis nicht bekannt.

– „gewebte Decken“ (S.132), Webkunst war auf Hawaii bis zur Ankunft der Weißen unbekannt. Stattdessen fertigte man das berühmte Kapa aus Rindenbast an. Nach der Ankunft der Weißen griff man auf fertige Stoffe aus dem Überseehandel zurück, statt selbst zu weben.

– „Schmuck“ (S.132), der traditionelle „Schmuck“ der einfachen Hawaiianer bestand aus vergänglichen Pflanzenmaterialen. Er wurde nicht als dauerhafter Bestandteil einer Mitgift angefertigt. Unvergängliche Schmuckstücke aus Federn, Haaren, Zähnen oder Muscheln wurden nur von der herrschenden Klasse getragen. Typische Stücke für Frauen waren hier Halsketten, Armbänder und Kopfkränze, und nicht Fußketten wie hier behauptet.

– es ist sehr unwahrscheinlich, dass ein „heiliger Ort“ durch gleichzeitige Nutzung als Kinderspielplatz entweiht wird (S. 55).

– „Lili`uokalani, die jetztige Königin Hawaiis, war selbst zur Hälfte weiß… hatte auf dem amerikanischen Festland studiert“ ( S.15) – das ist schlichtweg falsch – und war „zur Hälfte Schottin“ (S. 64) – das ist ebenfalls falsch. Die letzte Beschreibung passt auf ihre Nichte, Ka`iulani, die nach ihr den Thron besteigen sollte – nur eine nachlässige Verwechslung ?

– Stanford Dole wäre der Freund der Königin – das ist ungefähr so wahr, wie Herr Putin der Freund von Frau Merkel ist,

– „..die königliche Blutlinie…wurde ausschließlich von der Mutter an ihre Tochter vererbt.“ Das ist falsch. Die hawaiische Gesellschaft war nicht matrilinear, wie z.B. die der Hopi im Südwesten der USA. (S.143)

-„Gummibaum“ ist kein indigenes hawaiisches Gewächs. Er ist ursprünglich in Asien (Indeien bis Java) beheimatet. (S.146)

-Es gab keinen einzigen „englischen Missionar“ auf Kaua`i. Der einzige englische Missionar auf den Hawai`i Inseln, Thomas Netlleship Staley, wirkte ausschließlich auf O`ahu.(s. 149)

– in einem Kapitel mit der Jahreszahl 1894 ist von einem „wachsenden Goldrausch….im Hafen von San Francisco“ die Rede. Zu diesem Zeitpunkt war der kalifornische Goldrausch bereits 40 Jahre vorbei. (S.157)

-„irische Polizei“, ein Klischee, welches auf amerkanische Großstädte wie New York City und Chicago im frühen 20. Jahrhundert zutrifft. Die demoskopischen Erhebungen zu irischen Einwanderen nach Hawai`i vor 1900 machen es völlig unwahrscheinlich, dass die Polizei hauptsächlich irisch-stämmig war. (S.165).

– „Asche“ der Toten – die Feuerbestattung ist aufgrund der wichtigen Bedeutung der Knochen als Sitz des Mana keine traditionelle hawaiische Bestattungsmethode. (S.209)

. die „blaue Grotte“ befindet sich auf Capri. Das gehört zu Italien und liegt im Mittelmeer. Die durch Elvis Filme aus den 1950er Jahren berühmte Grotte auf Hawai`i heißt „Fern Grotto“.(S. 222).

– Lei aus Orchideen sind keine „traditionellen“ Lei, sondern wurden auf Hawai`i erst im 20. Jahrhundert populär. Lei sind kein Tischschmuck, sondern zum Tragen an der Person des Beschenkten gedacht. (S.235)

– unwahrscheinlich, dass eine Frau „aus Gräsern einen Korb flocht“. Im alten Hawai`i fertige man aus Lauhala Körbe. Gras, z.B. das Pili Gras, verwendete man zum Decken von Dächern.( 319)

– auf hawaiisch heißt Kanu oder Boot „wa`a“ und nicht „va`a“. Der Buchstabe „V“ ist nicht Bestandteil des hawaiischen Alphabets. (S. 341)

– die Kamehameha Schulen sind nicht nach dem hawaiischen Königshaus benannt, sondern nach dem ersten hawiischen Königshaus. Die letzten 2 Monarchen von Hawai`i gehörten zum Hause Kalakaua.(S.353)

– „Somewhere over the Rainbow“ ist „Hawi`i pur“ ? Da kann man anderer Meinung sein. Das Lied wurde von einem New Yorker Autorenteam in den frühen 1030er Jahren in englischer Sprache für den Film „The Wizard of OZ“  ohne jeglichen Gedanken an oder Bezug zu Hawai`i verfasst. Die Version von IZ ist übrigens auch nicht „gezupft“. Die Technik nennt sich „strumming“. (S.353)

– die Darstellung der Geschichte der chinesischen Einwanderer nach hawai`i ist falsch dargestellt. In großen Zahlen wanderten diese erst in der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts ein, nicht wie es im Buch heißt „zu Beginn des 19. Jahrhunderts“. Auch waren frühe männlche chinesische Einwanderer, die z.T. noch vor 1800 ankamen,  sozial völlig in die hawaiische Gesellschaft integriert, da sie einheimische Frauen heirateten und Familien gründeten. (S. 239.)

– die Bedeutung der „Kahuna“ im sozialen Gefüge  ist hier im Verhältnis zur herrschenden Klasse der Ali`i übertrieben dargestellt. (S.291)

– „Riesenschildkröten“ sind auf den Galapagos Inseln und den Seychellen endemisch, nicht auf Hawai`i. Dort gibt es die „grüne Seeschildkröte“, die sich aber wahrscheinlich „im Garten“ fernab des Ozeans eher unwohl fühlt. (S. 356)

– einen Ort namens „Walalua“ gibt es nicht auf O`ahu. Allerdings gibt es „Waialua“. „Walalua Falls“ ist auf Kaua`i. (S.359)

– zur Handlungszeit des Romans war der Handel mit Sandelholz auf Hawai`i bereits seit über 40 Jahren komplett zum Erliegen gekommen und Honolulu war daher nicht, wie hier behauptet, Ende des 19. Jahrhunderts „ein wichtiger Hafen für Sandelholz“. (S.361)

Und so weiter und so fort….

Haarsträubend ignorant ist auch die Auswahl der Vornamen der hawaiianischen Charaktere:

„Noelani“, was übersetzt „himmlischer Nebel“ bedeutet, wird von der Autorin als „die Schöne vom Himmel“ übersetzt.

„Leilani“ soll der Name einer jungen Frau sein, die mit dem Königshaus verwandt ist. Es ist der Titel eines populären Hawaiischlagers aus den 1940er Jahren eines weißen Komponisten und daher eine sehr unwahrscheinliche Wahl für den Namen einer Angehörigen des Königshauses.

„Keanu“, abgeschmackter geht es kaum, als dieser durch einen Hollywoodstar populär gewordenen Vornamen.

„Keli`i“ – heißt übersetzt auch „der Kleine“, was ja ganz und gar nicht der Beschreibung der Autorin entspricht. Oder ist das eine unfreiwillig komische Anspielung auf gewisse anatomische Unzulänglichkeiten ?

„Kairipai“ – soll hier ein hawaiischer Nachname sein. Unwahrscheinlich, denn der Buchstabe „R“ ist nicht Bestandteil des hawaiischen Alphabets.

„Malika“ – soll Honig oder fleißige Biene heißen. Das ist falsch. „Meli“ ist hier die richtige Übersetzung. „Malika“ ist die hawaiische Version des Namens „Melissa“.

Selbst für denjenigen, der kein Hawaiisch-Englisches Wörterbuch zur Verfügung hat (aus meiner Sicht ein absolutes Muß, wenn man einen Roman schreibt, dessen Schauplatz Hawai`i ist), so findet man auch im Netz schnell gute Übersetzungshilfen, z.B. bei wehewehe.org.

Auch sind die historischen Fakten keine geheimen Wahrheiten. Sie stehen jedem zur Verfügung, der 5 Minuten zum Nachlesen bei Wikipedia investiert und leidlich Englisch versteht.

Um so unverständlicher, dass die Autorin es nicht für nötig gehalten hat, die Fakten, mit denen sie ihre doch recht konventionelle Liebesgeschichte zu würzen bemüht ist, zu verifizieren.

Schade auch, dass sie offenbar in dem „hawaiianischen Clan“, in den sie eingeheiratet hat, nur sehr wenig erfahren hat. Aber das ist mag auch auf ein Zuhör-Defizit zurückzuführen sein

Eine fremde Kultur für die eigenen Zwecke zu benutzen, ohne sich auch nur zu bemühen, diese zu verstehen, das ist für mich eine Form von Ausbeutung.

Diese Haltung sollte man nicht dadurch unterstützen, Bücher dieser Autorin weiter zu empfehlen.

Gibt es irgendetwas Positives an diesem Roman ? Ja, die Einbandgestaltung ist optisch ansprechend.

 

 

 

 

 

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